Offener Brief von Kiva zu U.S.-Pilotprojekt
Geschrieben von Karsten am 21. Juni 2009 | Abgelegt unter Über Kiva
Seit Kiva am 10. Juni 2009 sein Engagement auch auf die Vereinigten Staaten ausgeweitet hat, geht ein spürbares Raunen durch die Unterstützergemeinde. Auch im Kiva Team Germany sind die Meinungen, das Pro und Contra zur Entscheidung der Vergabe von Darlehen in Ländern der ersten Welt betreffend, recht differenziert. Matt Flannery, Mitgründer und CEO von Kiva, sowie Premal Shah, Präsident von Kiva, wenden sich nun mit einem offenen Brief an die Unterstützergemeinde. Hierin begründen sie die Entscheidung von Kiva und laden gleichzeitig zum offen Dialog ein.
Ich habe den Brief einmal nachfolgend aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt, so dass sich jeder hier mit dem Inhalt vertraut machen kann.
Brief von Kiva zu den Pilotpartnerschaften in den Vereinigten Staaten
(Originaltext des Briefes vom 19. Juni 2009 in englischer Sprache im Kiva Blog)
Werte Kiva Unterstützer,
letzte Woche startete Kiva zwei Pilotpartnerschaften mit Mikrofinanzinstituten in den Vereinigten Staaten: ACCION USA und Opportunity Fund. Diese zwei Partnerschaften sind die 115. bzw. 116. Organisation, mit denen Kiva zusammenarbeitet. Die Vereinigten Staaten sind Kivas 45. Land. Sie stellen unseren ersten Ausflug in die entwickelten Länder dar.
Unsere Entscheidung, in den Vereinigten Staaten aktiv zu werden, ist kontrovers. In den vergangenen zwei Jahren war eine der Hauptfragen unserer Nutzer „Warum arbeitet ihr nicht in den Vereinigten Staaten?“. Wir wurden dafür kritisiert, dass wir den Kleinunternehmern in aller Welt helfen, aber die im eigenen Hinterhof „ignorieren“ (Kiva hat seinen Sitz in San Francisco). Schon vor einiger Zeit gaben wir demzufolge das Versprechen die Idee weiterzuverfolgen. Es brauchte nahezu vier Jahre, um den Schritt letztlich am 10. Juni 2009 zu gehen.
Seit dem Start des U.S.-Pilotprojektes schlug uns viel neue Kritik von unterschiedlichen Nutzergruppen entgegen. Sie fragten uns „Warum seid Ihr in den Vereinigten Staaten aktiv?“. Sie haben darauf hingewiesen, dass U.S.-Kleinunternehmer nicht so arm seien wie die in den Entwicklungsländern. Andere argumentieren damit, dass wir die Vereinigten Staaten bevorzugen, weil wir eine amerikanische, gemeinnützige Organisation sind. Einige haben sich teilweise sehr lautstark geäußert.
Beide Ansichten haben ihre Berechtigung und wir suchen dahingehend das Gespräch. Es hat etwas Inspirierendes, die Leidenschaft der Kiva Unterstützergemeinde zu erleben, wenn sie für das, woran sie glaub, aufbegehrt. Wir danken Euch dafür, dass ihr euch bemerkbar macht und versprechen, euer Feedback bei der Bewertung des U.S-Pilotprojektes mit einzubeziehen. In diesem Kurzen Brief wollen wir unsere Gedankengänge zum jetzigen Zeitpunkt und unseren weiteren Aktionsplan erläutern. Nicht zuletzt wollen wir euch dazu einladen, Teil des Entscheidungsprozesses zu sein.
Wie wir die Entscheidung getroffen haben, mit Institutionen in den Vereinigten Staaten zusammen zu arbeiten
Kiva wurde 2005 gegründet und verfügte nur über Darlehensnehmer aus Uganda. Kurz nach dem Start erhielten wir von überall aus der Welt das Feedback, dass das Konzept auch woanders großen Nutzen bringen könnte. Bald darauf, begannen wir damit Darlehen rund um den Globus zu vergeben – von den Vereinigten Staaten nach Tansania, von Australien nach Mexico, von Mexico nach Peru, von Kenia nach Indonesien. Während wir wuchsen, haben wir Feedback aus der Internetgemeinschaft und den Mikrofinanzinstituten aus der ganzen Welt einbezogen. Als Kivaunterstützer uns um Partnerschaften im Irak baten, haben wir hart an der Umsetzung dessen gearbeitet. Als Kivaunterstützer uns um Verbindungen nach Afghanistan baten, haben wir zugehört. Wir werden so fortfahren.
Kiva strebt danach, den Unterstützern die Möglichkeit der Auswahl zu geben. Es war uns immer schon wichtig, dass die Unterstützer die Personen auswählen können, denen sie ein Darlehen geben wollen. Gleiches gilt für die Field Partner, welche die Darlehen betreuen und das Land, in welchem der Kleinunternehmer lebt. Wir glauben, dass diese Wahlmöglichkeiten Teil dessen sind, was eine Darlehensvergabe über Kiva mit Freude und Erfüllung versieht. Jedes neue Land, in welches Kiva expandiert, eröffnet eine neue Wahlmöglichkeit für Kivaunterstützer und das trifft auch für unsere Partnerschaften in den Vereinigten Staaten zu.
Letztlich liegt die Wahl aber immer bei euch.
Wie passt das nun zu Kiva sozialer Mission?
Kivas Auftrag ist „Menschen über Verleihen von Geld zur Linderung von Armut zu verbinden“. Wir erkennen natürlich, dass Armut etwas Relatives ist und dass Armut von Kleinunternehmern in Uganda oder El Salvador nicht auf gleiche Weise von Kleinunternehmern in den Vereinigten Staaten erlebt wird. Es ist üblicherweise der Fall, dass sie keinen Zugang zu Finanzdienstleistungen ihrer Finanzinstitute vor Ort haben. Egal ob aufgrund von Sicherheiten, Analphabetismus, ethnischer oder geschlechtlicher Diskriminierung, fehlender Kredithistorie oder Geschäftsrückgang – unsere Field Partners richten sich an die Kleinunternehmer, deren Zugang zu einem Kredit woanders verweigert wird.
Die Field Partners, mit denen Kiva in den Vereinigten Staaten zusammenarbeitet, richten ihre Aufmerksamkeit auf Kleinunternehmer mit niedrigem Einkommen, die vom klassischen Finanzmarkt in den Vereinigten Staaten ausgegrenzt werden. Damit wollen wir sagen, die U.S.-Kleinunternehmer auf der Kiva Webseite repräsentieren ein Spektrum in Bezug auf Einkommensstufe und Grad des Ausschlusses. Wir erkennen auch, dass einige ein Darlehen mehr und andere eher weniger benötigen. Aus dem Internet heraus ist es unmöglich, eine perfekte Einschätzung oder Beurteilung abzugeben. Das führt zu einem Grad der Kontroverse, dass Nutzer auf unserer Seite darüber debattieren, wer nun ein Darlehen braucht und wer nicht. Diese Diskussionen verfolgen wir.
Wie wir fortfahren wollen
Kiva wird sein Netz von Field Partners auf der Welt weiter ausbauen, während durch eine Ausbalancierung der Durchdringung in jedem Land sichergestellt werden soll, dass Kiva möglichst breit gefächert auftritt. Gegenwärtig stellen die U.S. Field Partners nur 2% aller Field Partners dar. Wenn wir nur mit diesen Field Partners zusammenarbeiten würden, stünden sie nur für 5% des Gesamtdarlehenssumme bei Kiva. Falls wir uns dafür entscheiden zusätzliche Field Partners in den Vereinigten Staaten mit ins Boot zu holen, würde der Anteil der Vereinigten Staaten im Gesamtportfolio natürlich steigen. Wir, der Stab von Kiva und die Unterstützergemeinde, haben hier die Chance eine wohldurchdachte Entscheidung zu treffen, bevor wir uns auf irgendetwas einlassen.
Demzufolge sind wir gegenwärtig bezüglich einer möglichen Ausweitung in den Vereinigten Staaten und anderen entwickelten Nationen eher in einer abwartenden Beobachterrolle. In den folgenden sechs Monaten werden wir verschiedene Fakten in unterschiedlicher Hinsicht protokollieren. So zum Beispiel, vergrößert unsere U.S.-Erweiterung unsere Unterstützergemeinde, so dass alle davon profitieren? Und umgekehrt: lenken U.S.-Darlehen wirklich von Darlehen für Entwicklungsländer ab? Verleihen wir an Darlehensnehmer, die wirklich von unserem Engagement in den Vereinigten Staaten profitieren können? Erreichen wir hier wirklich einen sichtbar positiven Effekt für unsere Field Partners?
Über den Sommer hinweg werden wir nach Antworten auf die v.g. Fragen suchen, um anschließend unsere Strategie festzulegen. Wir laden Euch zum Feedback auf diesem Weg ein, welches ihr am besten wie folgt einbringen könnt:
- Stimmt mit eurer Geldbörse ab! Wir werden den Anteil, mit der U.S.-Unternehmer finanziert werden, mit dem anderer Unternehmer vergleichen.
- Schreibt Eure Meinung in diesem Forumsbereich zum Thema Darlehensvergabe in den Vereinigten Staaten!
- Stimmt in dieser Online-Umfrage ab! (Karsten: Für das Kiva Team Germany hat EmmaDilemma zusätzlich eine eigene Abstimmung eingerichtet.)
- Nehmt an unserer nächsten, für den 15. Juli 2009 angesetzten Telefonkonferenz teil. Die Einwahlinformationen werden rechtzeitig im Kiva Blog bekannt gegeben.
Danke für euer Interesse und eure Hilfe bei der Gestaltung der Zukunft von Kiva. Wir freuen uns auf die weitere Konversation.
Mit freundlichen Grüßen
Matt Flannery, CEO and Mitgründer
Premal Shah, Präsident